Page 22 - 150 Jahre Sektion Darmstadt-Starkenburg Festschrift
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Ein dunkles Kellerloch, staubige Luft, schimmelige Matratzen, schwitzende Körper. In dieser Atmosphäre vollzog sich quasi der Urknall des felsfernen Kletterns in Darmstadt.
Im Tiefgeschoss eines Bessunger Archi- tekturbüros hatte sich eine Hand voll Enthusiasten auf kaum mehr Grundflä- che als der eines durchschnittlichen Queensize-Betts mit mittelmäßig viel handwerklichem Geschick, aber muti- gem Einsatz von privaten Finanzmit- teln und dem Spielen mit guten Beziehungen, ein Trainingsparadies von knapp über 2 m Höhe geschaffen.
Die eingebaute Stahlkonstruktion machte das darüber liegende Gebäude erdbebensicher, die Fläche der Verpa- ckungssperrholz-Wände war durch komplexe Berechnungen maximiert worden und der Fallschutz wurde mit jedem öffentlichem Sperrmüll-Termin auf dem neuesten Stand der Technik gehalten. Aus dem Hinterland der da- mals noch jungen Tschechischen Repu- blik hatten wir die allerneusten Shapes besorgt – unergonomisch, rau, schmerz- haft, erbarmungslos.
Das Konzept ging auf!
Allein die aufgebrachte kreative Leis- tung, mit der an der vorhandenen Wandfläche sogar immer wieder aus- gewachsene Ausdauerprobleme defi- niert wurden, machte uns zu besseren, weil intelligenteren Kletterern. Die Steilheit der Wände, gepaart mit eiser- nem Willen und Alternativlosigkeit, tat ihr Übriges und unsere Muskeln wuch- sen wie vorgesehen.
Bald wurde unser Boulderraum zum Tempel, in dem sich immer mehr Gäste zum regelmäßigen Gebet einfanden und in dem sogar die erste Darmstädter Bouldermeisterschaft durchgeführt wurde.
Als uns irgendwann herz- und mitleids- los der Mietvertrag gekündigt wurde, war schnell klar, dass diese Niederlage nur eine Antwort zuließ: Wir wollten keinen Ersatz, wir wollten mehr – grös- ser, höher, besser!
Da um die Handvoll Enthusiasten in- zwischen ein beachtlicher Dunstkreis entstanden war, tat sich schnell ein in- teressantes neues Mietobjekt auf. Schnell wurde jedoch klar, dass in die- sen Dimensionen der private Betrieb nicht mehr das richtige Konzept für uns darstellte und wir zudem gerne etwas für einen größeren Kreis an Kletterern und auch für die Jugendgruppen der Sektion schaffen wollten.
Es begann ein intensiver Überzeu- gungsmarathon, bei dem sich die dama- ligen Vorstandsmitglieder der Sektion zunächst als große Bedenkenträger – „das ist doch höchstens was für ein paar Extreme und vor allem: was soll das überhaupt mit seriösem Bergsport zu tun haben“ – aber später dann doch als mutige Vereinslenker bewiesen, welche die Bereitschaft zeigten, in unsere Ideen zu vertrauen und der Sache zumindest eine Chance zu geben.
Einige weiere, strategisch trickreich ge- führten Verhandlungen und mühevoll gebastelte Pappmodelle später war auch die Innenarchitektur abgesegnet und es entstand mit vielen helfenden Händen, Men- und Womenpower unser neues Boulder-Wunderland.
Etwa viermal so groß wie das alte und sogar sage und schreibe 2,7m hoch. Dass die extra aufwändige Absenk- Konstruktion der 60°-Wand, welche dem Vorstand als ideale Lösung ange- priesen worden war, um den geforder- ten Raum in der auf Kletterflächen- maximierung ausgerichteten engen Pla- nung zu gewinnen, zwar in der Theorie aber niemals in der Praxis funktioniert
Boulderraum in der Jahnstraße. Foto: Archiv Kramberger
hätte, haben wir damals nicht verraten, denn bald war klar, wie gut das Kon- zept funktionierte.
Außerdem entstand nebenan ein adä- quater Tagungsraum, und das erste ei- gene, innerstädtische, multifunktionelle Vereinsdomizil war realisiert und füllte sich schnell mit intensivem Vereins- Leben. So wurden in den folgenden Jahren am Roßdörfer Platz nicht nur ein Szene-Treff installiert, Kletterer- Körper gestählt und die erste Leis- tungsgruppe ins Leben gerufen, sondern es trafen hier auch Gruppen mit den scheinbar unterschiedlichsten Interessen von jung bis junggeblieben unter dem gleichen Dach zusammen.
Nach und nach wich die Skepsis für die scheinbar so merkwürdigen Interpreta- tionsweisen des Themas Bergsport der jeweils Anderen einer gewissen Neu- gier, und später wohl sogar zu etwas wie gegenseitigem Verständnis.
Mut zur Vision!
Der Urknall des felsfernen Kletterns in Darmstadt
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