Page 71 - 150 Jahre Sektion Darmstadt-Starkenburg Festschrift
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  Wie gut gelingt euch Gleichbehandlung?
Eure Erfahrungen in Gruppen?
  Den Teilnehmern eines Kurses die glei- che Aufmerksamkeit zu schenken, krie- gen die meisten leicht hin, da sie das Individuum mit seinem eigenen Cha- rakter und Kompetenzen im Vorder- grund sehen und nicht das Geschlecht. Problematisch finden sie eher, wenn ein Teilnehmer schwierig ist, da man nie ganz objektiv agiert und durch sei- nen Sympathien und Antipathien be- einflusst ist.
„Menschen sind nie ganz ob- jektiv und richten ihre Bemühungen und ihr Handeln auch nach Kriterien von Sympathie /Antipathie aus.“ Sabina
Die meisten betonen, dass es ihnen wichtig ist, allen Teilnehmern die glei- che Wertschätzung entgegenzubringen und jeden bei seinem individuellen Ni- veau abzuholen und an den passenden Stellen herauszufordern.
Dabei wird auf schwächere Teilnehmer mehr Rü cksicht genommen, Paare eher getrennt, damit niemand ins Rollen- schema fällt und dazu motiviert, nur knapp ü ber dem Wohlfü hlbereich die Komfortzone zu verlassen. Forschere Teilnehmer werden etwas eingebremst und schüchterne Teilnehmer motiviert, egal ob dies jeweils Frauen oder Männer sind.
Erfahrungen in reinen Frauengruppen hatten nicht alle. Grundsätzlich fand dieses Konzept aber einen guten An- klang. Wenn es darum geht, Frauen ins Team zu holen, scheint es sinnvoll, Kurse und Kader speziell fü r Frauen anzubieten. In der reinen Frauen- gruppe ist die Dynamik anders, die Ge- spräche können intensiver und offener werden. Das gemeinsame Erlebnis steht mehr im Vordergrund und sportliche Leistung kann spielerischer werden. Die Frauen sind manchmal gelö ster, trauen sich mehr.
Bei allen Gruppen und Mischungen aber gilt: Anerkennung und Akzeptanz in der Fü hrungsposition leitet sich durch Kompetenz und Qualifikation ab. Kö nnen und Leistung werden als entscheidender angesehen als das Ge- schlecht, wobei Frauen dann im Ver- gleich doch immer noch ein bisschen mehr ihr Kö nnen beweisen mü ssen.
Sowohl gemischte, als auch reine Frau- engruppen haben ihre Qualitäten. Der Wechsel macht́ s. Beides zu haben bringt mehr Vielfalt, mehr Synergien, Dynamiken. Man wird jeweils unter- schiedlich gefordert und anders wahr- genommen.
„Und ganz besonders fällt
mir immer noch auf, das viele Frauen in Kletterbeziehungen sofort die schwächere Rolle einnehmen, obwohl sie dies gar nicht müssten.” Julia
Da es beim Klettern und Alpinsport so viele Facetten gibt und verschiedene Fähigkeiten gefordert sind, können sich hier sogenannte „weibliche“ und „männliche“ Eigenschaften gut ergän- zen.
Durch „Frauen“-Vorsicht am Berg kö nnen alpine Risiken vermindert wer- den, Gruppenuneinigkeiten durch in- tensivere Kommunikation aufgelö st und andere Entscheidungsstrategien angewandt werden. Vor Allem in den Bereich „Mut“ und „Risiko“ kö nnen beide Geschlechter voneinander lernen
„Ich finde es auch gut,
dass immer wieder Kurse speziell für Frauen angeboten werden, aller- dings müsste es ein solchen Angebot auch für die Männer geben! Ich denke, hier muss Gleichberechtigung in beide Richtungen her!“ Maren
    In der zweiten Hal̈ fte des 19. Jahrhunderts wurden in Europa alpine Vereine gegründet. Der erste war 1857 der briti- sche Alpine Club, zu dem Frauen nicht zu- gelassen wurden. Erst 50 Jahre später gründeten diese den Ladies Alpine Club. Auch der Schweizer Alpen Club war ein reiner Männerverein und ebenso kam es hier mit großer zeitlicher Verzögerung zur Gründung des Schweizer Frauenalpen- clubs. Weitere reine Frauenvereine ent- standen in Schottland, Wales und Italien.
Der österreich-deutsche Alpenverein (1862 fand die Gründungsversammlung des ÖAV in Wien statt) nahm zwar Frauen als Mitglieder auf (ebenso wie die Natur- freunde), allerdings war der Frauenanteil lange Zeit verschwindend klein.
Die alpinen Frauenvereine, anfangs aus der Not entstanden, bildeten somit eine gute Mog̈ lichkeit fur̈ Frauen, ohne Man̈ ner zu klettern, in reinen Frauenseilschaften. Diese mutigen, selbstbewussten, emanzi- pierten Bergsteigerinnen haben durch ihr
Vorbild andere Frauen für das Klettern und die damit verbundene Selbstbe- stimmtheit und Freiheit begeistert. Der Grundstein fur̈ Frauen am Berg war gelegt. (Quelle: Ingrid Runggaldier, Frauen im Auf- stieg, Auf Spurensuche in der Alpinge- schichte, Edition Raetia, Bozen 2011)
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