Page 99 - 150 Jahre Sektion Darmstadt-Starkenburg Festschrift
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Expeditionen im DAV Darmstadt-Starkenburg
Expeditionen kann man schon lange kaufen und sich damit einfach ins ge- machte Nest setzen. Man bezahle eine Stange Geld und bekomme die fertige Expedition frei Haus geliefert. Nun muss ich mich nur noch in den Flieger setzen und los geht es. Der Komfort nimmt immer mehr ab und plötzlich bin ich auf dem Gletscher im Expediti- onszelt und schaue auf eine faszinie- rende Landschaft. Ich werde bekocht, meine Lasten werden nach oben getra- gen und letztendlich muss ich mich nur noch überwinden zeitig aufzustehen und zum Gipfel zu laufen. Im Extrem- falle hilft mir hier noch das Doping des Expeditionsbergsteigens – Sauerstoff in Flaschen.
Unser Ansatz sollte ein Mittelweg wer- den. Expeditionen die selbst organisiert werden und das alles unter dem Dach des DAV. Wir wollten und konnten aber nicht auf Unterstützung vor Ort verzichten. Dafür haben wir uns meist um eine Agentur vor Ort gekümmert, die uns bei der Expedition unterstützte. Dabei mussten Sprachbarrieren über- wunden werden und zum Teil unter- hielten wir uns mit Händen und Füßen. So wurde die Frage eines Teilnehmers am Kiosk in Osh (Kirgistan) "Is it cold" immer wieder mit "No it's Kwas" be- antwortet. Erst die Kostprobe verriet, dass der prickelnde Brottrunk natürlich kalt serviert wurde.
Los ging es aber immer erstmal mit dem Training für die Expeditionen. 2006 organisierten wir ein Expeditions- training für den Aconcagua (Argenti- nien). Wir zogen für ein Winter- wochenende mit dem Zelt durch den Schwarzwald. Bei Sturmböen von 120 km/h wurde die Gipfelbesteigung tat- sächlich zu einer kleinen Expedition
Bild links: Steinbock auf dem Weg ins Basisla- ger im Kedartal. Im Hintergrund der Thalay Sagar. Foto: Olaf Pester
und der Feldberg ein gutes Trainings- ziel. Ein Forstarbeiter schüttelte nur den Kopf und erzählte etwas vom Ri- siko herabstürzender Äste. Das Trai- ning setzte sich im Sommer fort mit einer Zelt-Tour in der Monte Rosa. Die Überschreitung des Lyskamms wurde zur Krönung dieser Tour. Ein Aus- schnitt aus dem Bericht lautete:
"Am nächsten Tag soll das Wetter wie- der stabil bleiben und wir beschließen den Lyskamm anzugehen. 4:30 Uhr klingelt der Wecker und die morgend- liche Arbeit beginnt mit Kochen und dem Genuss von Müsli. Diejenigen, die um diese Zeit kein „ES“ herunterbe- kommen, nehmen Schokolade und Rie- gel.
6 Uhr stehen wir am Einstieg und be- ginnen unseren Aufstieg über die steile Flanke zum Ostgipfel. Der Firn ist sehr gut und die Spur vom Vortag erleich- tert das Vorwärtskommen ungemein. Am Grat laufen wir entlang der großen Wechten und blicken ins nördliche „Nichts“ - weit unten liegt der Grenz- gletscher. Die riesigen Wechten führ- ten dazu, dass der Kamm den makabren Beinamen „Menschenfresser“ bekam.
Ende des 19 Jahrhunderts stürzten mehrere Seilschaften mit den Wechten vom Grat. Ein mulmiges Gefühl be- schleicht einen, wenn man durch das Pickelloch hinab in die Südwand blickt. Die Wechte ist perforiert wie eine Briefmarke – wie lange hält sie das aus? Dann überwiegt aber der Genuss, wir gehen auf einem messerscharfen Grat bei schönstem Wetter dem Ostgipfel entgegen. Nach dem „Berg Heil“ ist der Beschluss schnell gefasst, die Tour wird umgestellt. Wir müssen den Grat über- schreiten und die gesamten 5 km genie- ßen. Solch eine Chance bekommt man vielleicht nur einmal im Leben."
Zum Jahreswechsel ging es dann end- lich an den Aconcagua. Hinter uns lagen viele Trainingsereignisse und das selbständige Ausarbeiten der Tour. So musste die Anreise mit dem Flugzeug geplant werden. Wo und wie bekom- men wir die Besteigungserlaubnis? Da- mals musste alle Teilnehmenden persönlich in Mendoza vorsprechen, genügend Dollar bezahlen und danach wurde das jeweilige Permit ausgehän- digt.
Mendoza bot allerdings den Vorteil, dass die Rotweinvorräte nochmals auf- gefrischt werden konnten. Was zu einer guten Silvesterparty im Lager bei- getragen hat. Denn die Vorräte wurden bei der doppelten Feier geleert; einmal feierten wir Silvester deutscher Zeit und dann noch ein weiteres Mal mit den Argentiniern.
Busfahrten mussten organisiert wer- den, wir brauchten Maultiere, die unser Gepäck ins Basislager tragen sollten – die Verpflegung am Berg wurde ge- plant, eingekauft und natürlich gekos- tet. Es wurde eine Höhentaktik auf- gestellt; wie wollen wir aufsteigen und wo sind die Schlafhöhen, um sich sinn- voll anpassen zu können? Auch der Aufstiegsweg wollte geplant werden. Für eine Alternative, die Polenglet- scherroute in der Ostwand, hätte man für gefühlt zwei Seillängen aber Glet- scherausrüstung benötigt. Sie wurde daher zugunsten der Normalroute ver- worfen.
An einem Vorbereitungsabend verpa- cken wir Frühstücksmüsli in fertige Portionen, damit morgens am Berg alles schnell gehen kann. Hier mussten alle eigene Gewohnheiten und Erfah- rungen sammeln. Da nicht alles was auf Meereshöhe beim Frühstück mit Oran- gensaft lecker ist, diese Eigenschaft auch noch im Hochlager besitzt.
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